Bis dass der Tod uns scheidet?

Selige und heilige Ehepaare können jungen Paaren heute ein Vorbild sein

Über 40 Prozent der Ehen in Deutschland werden geschieden, Tendenz steigend. Da wundert es kaum, wenn junge Menschen heute Angst haben, sich ewig zu binden und stattdessen jahrelang in formlosen Beziehungen leben. Es fehlt an Vorbildern. Prälat Prof. Dr. Helmut Moll wollte das ändern und hat sich auf die Suche nach seligen und heiligen Ehepaaren gemacht. In seinem gleichnamigen Buch porträtiert er 60 Ehepaare, die ein vorbildhaftes christliches Ehe- und Familienleben geführt haben.

Im Interview mit dem Kolping Journal spricht Prälat Moll mit Redakteurin Martha Klawitter über das vermeintliche Auslaufmodell Ehe.

Herr Prälat Moll, sieben Jahre hat Ihre Recherche gedauert, bis Sie ihr Buch über selige und heilige Ehepaare vorlegen konnten. Wozu dieser ganze Aufwand?

Damit die jungen Leute, die heute heiraten, spüren: Es hat nicht nur Ehescheidungen, Ehekrach und Wiederverheiratung gegeben, sondern es gab in allen Jahrhunderten auch vorbildliche, selige und heilige, Ehepaare, nicht nur Priester und Ordensleute.

So ein Heiligsprechungsprozess dauert ja seine Zeit. Papst Franziskus hat etwa 2015 die Eltern der hl. Therese von Lisieux zur Ehre der Altäre erhoben. Doch zwischen Heirat der Eheleute Zélie Guérin und Louis Martin und ihrer Heiligsprechung liegen fast 160 Jahre. Sie lebten zu einer Zeit, mit der sich junge Leute heute nicht mehr identifizieren können. Inwieweit haben diese Eheleute überhaupt noch Vorbildcharakter?

In jeder Generation gab es verschiedene Ideale, wie man Ehe und Familie führen kann, aber es gibt auch überzeitliche Motive. In allen 20 Jahrhunderten war etwa die Treue wesentliches Moment einer christlichen Ehe. Die Ehe ist eine Lebensentscheidung, keine Entscheidung aus Willkür oder aus einer Laune heraus. Der Wert der Treue etwa hat eine überzeitliche Bedeutung. Auch die ehelichen Werte waren 1858 keine anderen als heute: Rücksichtnahme, miteinander verbunden sein, bei unterschiedlichen Meinungen hören, warum der andere diese Auffassung vertritt und nicht die meine, und schließlich am Abend doch zu sagen: Versöhnung ist die beste Münze im Haus.

Offensichtlich auch die seltenste, wenn doch so viele Ehen scheitern. Wie erklären Sie sich die hohen Scheidungsraten?

Es ist von Land zu Land verschieden. In Moskau etwa, wo ich mehrere Male gewesen bin, sagen die Leute: Wenn der Mann seine Arbeit verliert, dann fühlt er sich plötzlich unwürdig. Und was macht er in seiner Wut? Er fängt an zu trinken und beginnt, seine Frau zu schlagen. Die Frau lässt sich das nicht gefallen und sagt: Hör mal, das geht so nicht! Wenn du nochmal auf mich einschlägst, dann gehe ich. Der Mann kann sich nicht beherrschen und muss gleichzeitig fürchten, verlassen zu werden. In seiner Wut und Verzweiflung schlägt er wieder auf sie ein. Es ist ein Teufelskreis. Die Hintergründe, warum es in Moskau 70 Prozent Geschiedene gibt, liegen in dieser wirtschaftlichen Not begründet. Während bei uns in Westeuropa die Dinge anders liegen: Hier ist es einfach so, dass der christliche Gehalt einer Ehe gar nicht mehr verstanden wird. Die christliche Ehe ist eine Lebensentscheidung, nicht eine Entscheidung für die nächsten zehn Jahre, nicht „so lange du gesund bist“, nicht „so lange du mir gefällst“, sondern „in guten und bösen Tagen“. Aber hier greift natürlich auch der Domino-Effekt. Die jungen Leute sehen, dass andere sich scheiden lassen, dann tun sie das auch. Was die anderen tun, wird plötzlich zum Maßstab und aus der Minderheit wird eine Mehrheit.

Bedeutet also: Wenn junge Ehepaare heute ein christliches Ehe- und Familienleben führen wollen, stechen sie aus der Masse heraus. Sie werden zu einem „Zeichen, dem widersprochen wird“. Was raten Sie jungen Ehepaaren, die sich entschieden haben, gemeinsam den Weg der Heiligkeit zu beschreiten?

Zunächst einmal: Wir haben ja wirklich großartige Vorbilder. Scheuen Sie sich nicht, die Lebensgeschichten dieser Seligen und Heiligen einmal anzusehen. Viele von diesen Ehepaaren haben schwierige Zeiten durchstehen müssen. Doch der Glaube hat ihnen Kraft gegeben. Tertullian hat einmal gesagt: Die Ehe ist wie zwei Tiere, die einen Lebenskarren fahren. Und beide müssen sehen, dass dieser Lebenskarren am Ende nicht in die Böschung fällt. Sie sollen also ein christliches Leben führen und im Gebet immer wieder zueinander finden.

Sie sagen: Bei uns in Europa wird der Wert der christlichen Ehe nicht mehr verstanden. Gleichzeitig ist es in vielen deutschen Bistümern den Verlobten freigestellt, ob sie eine Ehevorbereitung machen oder nicht. Liegt hier das Problem?

Sicher auch. Papst Franziskus hat in seinem Apostolischen Schreiben Amoris laetitia deutlich gesagt: In der Kirche muss die Ehevorbereitung intensiviert werden.

Man hört ja oft junge Leute sagen: Nein, Ehevorbereitung ist nichts für uns. Wir wollen uns von einem Priester oder Kirchenvertreter nicht vorschreiben lassen, wie wir unser Eheleben zu führen haben. Und schon gar nicht, wie wir unsere Sexualität leben dürfen oder nicht. Was sagen Sie dazu?

Es geht ja nicht einfach darum, Vorschriften zu machen, sondern den Verlobten den Wert der Sexualität nahezubringen. Kardinal Ratzinger sagte einmal: In der Leiblichkeit einer Frau und eines Mannes zeigt sich, was eigentlich bräutliche Liebe und was Hingabe bedeutet. Die leibliche Vereinigung darf niemals nur ein Spaß sein, niemals nur ein Abenteuer, sondern sie muss als ein Geschenk verstanden werden, das Freude und Ernst in einem ist. Die Kirche ist also nicht leibfeindlich. Ganz im Gegenteil. Sie will den Menschen in seiner ihm von Gott verliehenen Würde schützen.

Dem hl. Johannes Paul II. waren diese Themen sehr wichtig. Die Theologie des Leibes geht auf ihn zurück. Zugleich hat er so viele Christen selig- und heiliggesprochen, wie kein anderer Papst zuvor. Sehen Sie hier einen Zusammenhang?

Natürlich. Johannes Paul II. sah, dass in Westeuropa die Sexualität etwas ist, das man gebraucht. Ein hedonistisches Ideal. Durch die Selig- und Heiligsprechungen wollte er zeigen: Die leibliche Vereinigung wie auch der Zölibat haben einen tiefen Sinn. Es geht bei Sexualität nicht bloß um Vergnügen oder Verzicht. Aber das muss gelernt werden.

Aber wie?

Durch die Eltern. Wenn die Eltern Vorbilder sind, können sie auch ihren Kindern glaubhaft den Wert der Ehe vermitteln. Aber auch Ehepaare, die in der Pfarrei leben. In meiner ersten Stelle gab es zehn Familienkreise, die sich jeden Monat trafen, um sich über Fragen zu Ehe und Familie auszutauschen. Und auch die Heiligen selber können helfen. Die seligen und heiligen Ehepaare haben ganz offensichtlich verstanden, dass die Ehe auch für die Gesellschaft eine große Bedeutung hat. Sie kann Menschen erfüllen, sie führt sie zu Gott.

Sehen Sie zwischen der mangelnden katholischen Erziehung der Kinder und dem Priestermangel einen Zusammenhang?

Ja. Wenn Eltern sich scheiden lassen und wieder heiraten, wenn Kinder aus verschiedenen Ehen hervorgehen, Patchworkfamilien entstehen, machen Kinder nicht die Erfahrung, dass es Lebensentscheidungen gibt, sondern nur Brüche. Und wenn sie das in der eigenen Familie schon so erleben müssen, haben sie auch existenziell oft nicht genügend Kraft, selbst Lebensentscheidungen zu treffen, heißt: eine katholische Ehe zu führen oder sich als Ordenschrist oder Priester Gott zu weihen. Der Weg der Kirche führt über die Familie, hat schon der hl. Johannes Paul II. gesagt.